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Helene Erika Etminan

CORONA-KRISE (20) – UND DIE EINSAMKEIT

Eines der großen Probleme dieser Corona-Zeit sind die fehlenden sozialen Kontakte. Auch Menschen, die normalerweise viele Kontakte haben, müssen jetzt mit weniger auskommen. Noch schlimmer ist es für Menschen, die sowieso einsam sind. Nun kann man nirgendwo hingehen, wo man vielleicht mal mit jemandem reden könnte. Man bleibt zu Hause und ist einsam. Dann weiß man, wie schwer ein Sonntag sein kann. Wie elendig lang die Wochenenden sind. Und dann noch das Weihnachtsfest – für einsame Menschen ist es die schwierigste Zeit überhaupt. Andere sind im Kreis der Familie zusammen und du stehst draußen. Es gibt niemanden, zu dem du gehörst. Du sitzt in einer warmen Wohnung, zugleich aber in der sozialen Kälte. Einsamkeit ist eine psychische und soziale Realität, die durch die Corona-Krise noch erheblich verschärft wird. Dieses Problem gibt es jedoch schon viel länger in unserer westlichen Kultur. England hat sogar einen »Minister für Einsamkeit«. Einsamkeit ist die Schattenseite des Fortschrittdenkens, das uns eigentlich auf die erfolgreiche Seite des Lebens zwingen will. Auf eine Seite, wo Glück und soziale Kontakte eine Frage der Machbarkeit sind. Aber oh weh, wenn man nach einer Niederlage, einer Krankheit oder einem Sterbefall auf der dunklen Seite des Lebens landet. Dann wird man zu einer Bedrohung für Menschen auf der hellen Seite des Lebens. Dein Leid erinnert sie

daran, dass in ihrem Leben irgendwann das Gleiche geschehen könnte. Das haben sie nicht gern, das wollen sie vermeiden – und darum vermeiden sie dich.


EINSAMKEIT IST EIN TABU

Jede schwere Lebenskrise führt mit der Einsamkeit in eine weitere Krise, die noch dazukommt. Als ob es noch nicht genug wäre. Menschen, die »etwas« mitgemacht haben, kennen dieses Phänomen. Anfangs bekommen sie Solidarität und Mitgefühl. Nach einiger Zeit müssen sie jedoch wieder funktionieren, das erwarten andere einfach. Aber wenn dies nicht möglich ist, was dann? Vielleicht tust du dann, was sie erwarten und spielst Theater. Wenn du das aber nicht willst oder nicht kannst, dann wirst du dich zurückziehen oder sie ziehen sich zurück – oder beides. Dann beginnt eine wirklich schwere Zeit, eine Phase, in der keiner mehr deine düstere Stimmung ertragen kann oder deine traurigen Geschichten anhören will. Vielleicht auch einfach nicht anhören kann, denn andere haben auch ihre

eigenen Probleme. Und du hast gehofft, dass die Krise bald vorbei wäre? Sie beginnt jetzt erst. Aber man darf nicht darüber sprechen, es ist ein Tabu. Bekannte wechseln dann schnell das Thema oder raten dir »professionelle« Hilfe zu suchen. Wo das Corona-Virus manchmal körperliche Atemnot verursacht, da bedeutet Einsamkeit Atemnot auf Seelenniveau. Und nur selten gibt es jemanden, der vor anderer Leute Leid nicht zurückschreckt. Es sind Menschen, die selbst in ihrem Leben »etwas« mitgemacht

haben. Wenn du einsam bist, dann lernst du solche Menschen schätzen. Aber ersticke sie nicht, denn vielleicht hast du sie noch lange nötig. Und sicher gibt es auch noch andere Leute, die ihr Ohr nötig haben.


EINSAMKEIT IST WERTVOLL

Einsamkeit erfasst und durchzieht unser ganzes Wesen und unser ganzes Leben. Glücklicherweise können wir doch noch etwas tun, um nicht vollkommen im Elend unterzugehen. Jede Situation enthält nämlich eine Chance zu wachsen, sich als Mensch weiterzuentwickeln. Vielleicht sitzen wir in einer aussichtslosen Schwärze, aber immer noch können wir unsere Haltung verändern. Wir können dieselbe Situation aus einer anderen Perspektiver heraus betrachten. Jetzt bist du allein, aber du bist immer noch

mit dir selbst. Kennst du eigentlich den Menschen, der du bist? Wer du wirklich bist? Wer bist du – mitten in dieser Einsamkeit? Wer ist dieser Mensch, der irgendwann vor Gott stehen wird? Außerdem ist Einsamkeit gut geeignet, unsere Seele zu reinigen und zu schauen, was wir so alles in unserem Herzen tragen, welche schweren Lasten: Ärger (über wen?), Bitterkeit (warum?), Enttäuschung (worüber?). Wenn wir in der Einsamkeit sowieso schwere Gefühle haben, dann können wir den Rest auch noch eben anschauen. Und dann weg damit und alles Gott überlassen. Einsamkeit ist die Chance, durch das Elend hindurch zu Dankbarkeit und Ehrfurcht vorzudringen. Schmerz und Leid reinigen unsere Seele vom Ich-Bezug. Und bereiten so die »Krippe unseres Herzens« vor auf die Ankunft Gottes (Pastor Heijnen †). Das Leid von Weihnachten geht vorbei – die Einsamkeit bleibt. Die »Krippe« auch.


Vaalser Weekblad, 18. Dez. 2020

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